Doping am Schreibtisch: Interview mit Facharzt Götz Mundle

Redaktion 25. Juli 2011 0
Doping am Schreibtisch: Interview mit Facharzt Götz Mundle

Das Leistungstief mit Pillen überwinden? Ein Gespräch über Süchte im Berufsalltag mit Facharzt Götz Mundle.

Herr Mundle, die Hemmschwelle, Arzneimittel zur Bewältigung von Alltagsproblemen zu missbrauchen, sinkt. Die Leistungsfähigkeit mit Medikamenten zu steigern, um im Job in Topform zu sein, ist aber alles andere als harmlos: Abhängigkeit und Nebenwirkungen drohen. Was ist unter „Doping am Arbeitsplatz“ zu verstehen? Wie verbreitet ist es?

Die Tendenz, Druck und Stress am Arbeitsplatz mit Arzneimitteln oder bestimmten Substanzen bewältigen zu wollen, ist nichts Neues: Männer, die im Job überfordert sind, flüchten oft in den Alkohol. Frauen greifen häufig zu Kopfschmerztabletten, um stabil zu sein und den Berufsalltag besser in den Griff zu bekommen. Was jedoch zunimmt, ist der Missbrauch bestimmter Medikamente wie Psycho- und Neuropharmaka. In Deutschland gibt es bereits 1,5 Millionen Medikamentenabhängige.

 

Womit wird im Job gedopt?

Es sind vor allem Schlaf- und Beruhigungsmittel, die an sich gesunde Menschen einnehmen, um nach einem aufreibenden Arbeitstag vermeintlich leichter abschalten zu können. Auch gegen Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen werden Medikamente geschluckt. In den Oberbergkliniken, die seit rund 25 Jahren Abhängigkeitserkrankungen behandeln, haben wir festgestellt, dass verstärkt auch Kokain zum Alltagsdoping eingesetzt wird. Es ist in der Business-Welt verbreiteter, als viele annehmen. Wir schätzen, dass zwei Prozent der Deutschen Kokain konsumieren.

 

Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

Stress und Druck am Arbeitsplatz nehmen zu. Berufstätige haben subjektiv das Gefühl, sie müssten immer mehr Leistung erbringen – aus Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Da ist es nachvollziehbar, dass sie zu Mitteln greifen, von denen sie glauben, sie würden dadurch fitter, auch wenn das gar nicht der Fall ist. Es liegt auch daran, dass wir unerreichbaren Idealen hinterherjagen: Wir wollen perfekt aussehen, rundum gesund sein, uns wohl fühlen und immer funktionieren. Wenn irgendwo der Schuh drückt, wird eine Pille geschluckt. Statt normal mit den Schwierigkeiten des Berufsalltags umzugehen, betreiben viele Alltagsdoping.

 

Verstärkt die gegenwärtige Wirtschaftslage diese Problematik?

In jedem Fall. In dieser unsicheren Lage stehen viele unter enormen psychischen Belastungen. Manche zerbrechen daran, wie der Fall des Ratiopharm-Gründers Merckle gezeigt hat. Andere versuchen, sie medikamentös zu betäuben.

 

Wer dopt sich: der Manager mit Erfolgsdruck oder der Angestellte mit Versagensängsten?

Grundsätzlich sind alle gefährdet, die besonders hohe Leistungsansprüche an sich stellen. Das kann der Manager oder der mittelständische Unternehmer genauso sein wie der kleine Angestellte.

 

Welche weniger gefährlichen Mittel gibt es, mit den Belastungen des Berufslebens umzugehen?

Wer starke Belastung verspürt, sollte in sich hineinhorchen: Wo sind die Grenzen meiner Leistungsfähigkeit? Lassen sich die Ansprüche, die ich und andere an mich stellen, erfüllen? Selbsterkenntnis verhilft zum achtsamen Umgang mit sich selbst. Auch autogenes Training, Yoga oder Meditation helfen. Pausen, regelmäßige Mahlzeiten, Sport, kreative Betätigung und soziale Beziehungen sind besser geeignet, mit Belastungen des Berufslebens fertig zu werden, als jedes Medikament.

 

Zur Person

Götz Mundle, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, ist Ärztlicher Geschäftsführer der Oberbergkliniken sowie Chefarzt der Oberberg Klinik Berlin/Brandenburg. Dort werden Abhängigkeitserkrankungen, das Burn-out-Syndrom, Angst und Depressionen behandelt. Mundle hat sich auf die Erforschung neuer Methoden in Suchtdiagnostik und -therapie spezialisiert.

 

Bild 01: Götz Mundle, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Ärztlicher Geschäftsführer der Oberbergkliniken sowie Chefarzt der Oberberg Klinik Berlin/Brandenburg. (Quelle: privat)

Interview: Andrea Frey/Raufeld

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